''weil doch Original wohl nicht zu haben sind'' - Porträt / Kunst / Kopie
Die Porträtgemäldegalerie Gleims besteht zu etwa einem Fünftel aus Kopien. Gerade in Porträtgalerien, die zugleich ein Raumprogramm bilden, war der Anteil von Kopien häufig sehr hoch. Einige setzten sich gar zum größten Teil oder ausschließlich aus Kopien zusammen. Häufig wurden solche Sammlungen retrospektiv angelegt, nahmen also nicht nur Zeitgenossen auf, sondern auch historische Persönlichkeiten. Vielfach wären von letzteren Originale gar nicht zu beschaffen gewesen. Oft wurden Kopien gegenüber Originalen gar bevorzugt, da sich erstere leichter in das Programm einpassen ließen - etwa durch die Einheitlichkeit von Ausschnitt und Format des Bildes. Ein bezeichnendes Beispiel hierfür ist etwa das Bildprogramm der Bibliothek des Schlosses Wörlitz, dessen Porträts in der Regel nach Porträtkupfern gemalt wurden.
Gleim bevorzugte ausdrücklich Originale, war aber gewillt, auch Kopien aufzunehmen, "weil doch Original wohl nicht zu haben sind" (Gleim an Johannes von Müller, 8.8.1789, zit. nach Kat. Freundschaftstempel 2000, S. 84). In die Porträtgalerie des Halberstädter Dichters und Sammlers fanden zunächst persönliche Freunde Aufnahme, späterhin außerdem auch verdienstvolle Zeitgenossen. Es ist auffällig, dass bei letzteren der Anteil an Kopien höher ist als bei ersteren. Nicht weniger als ein Drittel der Kopien in Gleims Freundschaftstempel hat Bildnisse Graffs zur Vorlage, woran einmal mehr die Bedeutung des Dresdner Meisters für das Gelehrten- und Dichterbildnis der Aufklärung deutlich wird.
Bei aller Bedeutung von Kopien ist dem historischen Diskurs klar zu entnehmen, dass das Original und das damit verknüpfte Prinzip der Aura als besondere Werte geschätzt werden. Eine Minderbewertung der Reproduktion kommt zum Ausdruck etwa in den Worten des Berliner Dichters Karl Wilhelm Ramler, als dieser Gleim Bildnisse einiger Berliner Freunde übersandte und den Empfänger wissen ließ, "Gellert und Bodmer sind n u r Copien" (Brief Ramlers an Gleim, 23.3.1752, zit. nach Kat. Freundschaftstempel 2000, S. 73, Hervorhebung durch Verf.). Tatsächlich handelte es sich bei dem damals übersandten Bildnis Gellerts um eine eigenhändige Arbeit des Malers Gottfried Hempel. Ein solches Werk würden wir heute nicht ‚Kopie‘ nennen wie Ramler, sondern ‚Replik‘. So tritt hier ein noch anspruchsvollerer Begriff von ‚Original‘ zutage, der selbst die sekundäre eigenhändige Version nicht mehr wie das ursprüngliche Werk schätzt, um wie viel weniger dann die Wiederholung von fremder Hand.
Das Werturteil des Kunsthistorikers Max J. Friedländers aus dem 19. Jahrhundert kann als exemplarische Formulierung eines bis heute gültigen Verdikts gelten: "Der schöpferische Meister setzt das Gesamt seiner geistigen und seelischen Kräfte ein, der Kopist nur Gedächtnis, Auge und Hand. Wer den Unterschied zwischen Entstehen und Machen fühlt, wird sich nicht leicht täuschen lassen. Das Original gleicht einem Organismus, die Kopie einer Maschine" (Max J. Friedläner: Von Kunst und Kennerschaft. Oxford/Zürich 1946, S. 214).
Indessen war doch gerade im Bereich des Porträts die Akzeptanz einer Kopie recht hoch. Die Gattung Bildnis ist grundsätzlich gekennzeichnet durch eine besondere Zweiwertigkeit. Einerseits ist es als Werk der schönen Künste zu betrachten (Kunstwert), andererseits wird ihm Interesse entgegengebracht, das sich eher an die Person der Darstellung knüpft (Kultwert). Während der Kunstwert in der Kopie geschmälert sein mag, bleibt der Kultwert erhalten, da doch auch die Reproduktion das Aussehen des Dargestellten wiedergibt. Verallgemeinert gesprochen behauptet die Kopie immer dann einen höheren Wert, wenn dem Bildgegenstand besondere Bedeutung zukommt, und nicht nur dem Charakter als Kunstwerk.
Originale Bildnisse wurden, was das bürgerliche Porträt angeht, vor allem im engen freundschaftlichen sowie im familiären Bereich bewahrt. Das Porträt des Leipziger Steuerbeamten, Dichters und Publizisten Christian Felix Weiße kam (ebenso wie eines der zahlreichen Selbstporträts Graffs) erst vor wenigen Jahren als Dauerleihgabe des Landes Sachsen-Anhalt in das Gleimhaus. Es ist gemeinsam mit dem Bildnis der Gemahlin Weißes von der Hand Adam Friedrich Oesers überliefert und stammt daher sehr wahrscheinlich aus dem Privatbesitz der Dargestellten selbst. Die beiden Graff’schen Originale, die Gleim seiner Sammlung einverleiben konnten - eminente Meisterwerke des Intellektuellenporträts - hatte er aus Familienbesitz erhalten: Das Bildnis Herders war ein Geschenk von dessen Gemahlin Karoline; das Konterfei Sulzers hatte er offenbar aus der Hand Graffs empfangen, der es vermutlich aus dem Nachlass seines Schwiegervaters, eben Sulzer, zurück erhalten hatte.
"Vortreflich", begeisterte sich Gleim beim Empfang des Profilporträts und bedauerte zugleich, aus pekuniären Gründen nicht in der Lage zu sein, seine Galerie durch Graff im größeren Stil erweitern zu lassen: "Wär ich der Landgraf so ließ ich diesen Maler reisen in Deutschland, zu allen den Köpfen; zu den vielen - oder den wenigen […] und dann müßte er sie malen für meinen kleinen Musentempel!" (Brief Gleims an Johannes von Müller, 6.2.1782, zit. nach Kat. Freundschaftstempel 2000, S. 180)
2016-10-13