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Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Stadt Dortmund Vom Sonn- und Alltag - Aspekte des ländlichen Lebens

Vom Sonn- und Alltag - Aspekte des ländlichen Lebens

Über die Sammlung

Zum Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich in bürgerlichen Kreisen eine nostalgische Sicht des Landlebens entwickelt. Es stand im Gegensatz zum Leben in Industriestädten für Lebendigkeit, Natur und menschliche Nähe in dörflicher Nachbarschaft. Hier schien die "gute alte Zeit" mit ihrer vermeintlichen Sicherheit und Geborgenheit fortzudauern. Das Interesse an "Volkskunst" wuchs: In vorindustrieller Weise hergestellte Gegenstände ländlichen Ursprungs wie z.B. "Bauernmöbel" wurden verstärkt gesammelt. Der Sammlungsschwerpunkt des Dortmunder Museums, das 1911 als "Städtisches Kunst- und Gewerbemuseum" neu eröffnete, liegt bei den "Bewahrmöbeln" wie Truhe(nbank), Wirtschafts- und Kleiderschrank, Anrichte und Himmelbett. Die vorhandenen Stücke sind eine Momentaufnahme der Zeit um 1800, als alle diese Möbel gleichzeitig verwendet wurden.
Die auch Schmuck, Trachten und Arbeitsgeräte umfassende "Volkskunst"-Sammlung zählte zu den bedeutendsten Norddeutschlands. Damals wurden die bäuerlichen Möbel, obwohl sie Einzelstücke aus verschiedenen Fundzusammenhängen waren, im Museum zu ganzen Einrichtungen zusammengestellt. Die "Westfälische Bauernstube" sollte Gemütlichkeit und Ursprünglichkeit ausstrahlen und Vorbild für Bürger sowie Handwerk und Industrie sein. Die Art der "Bauernmöbel" wurde als "ehrlich, derb, urwüchsig und konstruktiv klar" beschrieben und zur Reform des deutschen Kunstgewerbes anregen. Um die "Materialechtheit" hervorzuheben, wurden viele Bemalungen entfernt. Die tatsächlichen Lebensumstände der Landbevölkerung waren kaum von Interesse. Dass sich die Sammlungen auf besonders schöne Stücke wohlhabender Bauern beschränkten, wurde nicht deutlich gemacht. Soziale und wirtschaftliche Unterschiede wurden an Hand des Möbelbesitzes nicht untersucht.

Mit den idealisierten Vorstellungen hat die Aufstellung der Volkskundeabteilung gebrochen, sind heute Ensembles zu sehen, so stammen sie aus dem Bereich reicher Bauern und werden als solche thematisiert. Weil die Vorstellung eines überschaubaren ländlichen Alltags mit klaren Rollen und geradlinigen Lebensläufen für viele Großstadtbewohner bis heute attraktiv geblieben ist, wurde dies versucht nachzuvollziehen: Taufe, Heirat, Familiengründung und Tod. So ergibt sich ein Gesamteindruck bäuerlicher Lebenszusammenhänge um das 18./19. Jahrhundert herum. Beispielhaft zeigt sich dies am "Himmelbett", das es im bäuerlichen Bereich im 18./19. Jahrhundert neben offener Bettstelle und Alkoven gab. Ein Himmelbett zeugte von Reichtum und betonte den Unterschied zum "Völkerbett", dem Gesinde- und Kinderschlafplatz. Das Himmelbett war nach Möglichkeit Bestandteil der "Aussteuer", die vor der Heirat Verhandlungsgegenstand war. Heiratsmotive wirtschaftlicher Art waren lange Zeit entscheidend. Erst seit dem 19. Jahrhundert feierte die Liebesheirat als Ideal Triumphe. Warum waren wirtschaftliche Kriterien so wichtig? Waren es die Frauen, die in der Ehe "versorgt" sein wollten? Ein Blick auf die zeitgemäßen Gegebenheiten gibt Aufschluss.
Mitgiften dienten den Bauern zur Zeit der Untergehörigkeit zur Verteidigung ihres Besitzes gegenüber dem Grundherrn. Bei Erbschaftsantritt war ein Anteil an den Grundherrn zu zahlen. Um diesen möglichst niedrig zu halten, bemühten sich die Bauern, ihre Kinder vorher zu verheiraten und bedeutende Vermögensteile als Mitgift wegzugeben.
Der Status eines Individuums entsprach seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten, die nicht durch das Geschlecht festgelegt waren. Der Hof wurde an die/den älteste/n Tochter/Sohn oder an die/den jüngste/n Tochter/Sohn vererbt. Auch Frauen konnten den Hof erben, genauso wie Männer eine "Aussteuer" in Form von Wertgegenständen in die Ehe einbringen konnten. Frauen und Männer waren an einer guten Versorgung in der Ehe interessiert. Den Status der Eheleute innerhalb der Lebensgemeinschaft, aber auch im Verhältnis zur Dorfgemeinschaft zu klären, war Ziel der Verhandlungen vor der Heirat. Bauern waren nicht gefühlloser und "geldgieriger" als die Menschen von heute. Gerade, wenn es aber um beträchtliche Werte ging, hatten sie gute Gründe für vertragliche Vorkehrungen.
B. H.

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