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Städt. Hellweg-Museum Geseke Stadtgeschichte Militaria und Waffen Ausstellungsstück des Monats [0000.229]
Torheber (Städt. Hellweg-Museum Geseke CC BY-NC-SA)
Herkunft/Rechte: Städt. Hellweg-Museum Geseke / Alexander Arens (CC BY-NC-SA)
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Torheber (Petardengabel)

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Beschreibung

Ausstellungsstück des Monats Februar 2022:

1622 belagerte Christian von Braunschweig Geseke - vergeblich. Während viele westfälische Städte erobert und ausgeplündert wurden, konnte das katholische Geseke mit Hilfe kaiserlicher Truppen widerstehen. Das Ereignis prägte sich tief ein in das historische Gedächtnis der Bürger. Für die Errettung gelobten die Geseker, jährlich eine Prozession durchzuführen. Das jährt sich nun zum vierhundertsten mal. Nachdem Christian von Braunschweig abgezogen war, sammelten die Geseker einige Hinterlassenschaften seiner Truppen ein und verwahrten sie im Stadtkirchturm als Andenken. Dazu gehörten der sogenannte Torausheber (Inv.-Nr. 0000.229) und ein Pulverfass (Inv.-Nr. 0000.231), beide heute im Städt. Hellweg-Museum. Bei dem Torausheber (bleiben wir vorerst bei dieser Bezeichnung) handelt sich um einen heute insgesamt zwei Meter langen Holzschaft an dem eine massiv schmiedeeiserne, halbrund geformte Gabel mit zwei Auflagern befestigt ist. Wie das Pendant zu den Eisenbändern, die zur Befestigung dienen, sah ursprünglich wohl eine Spitze am anderen Ende aus. Sie ging vermutlich bei einer Neuschäftung im letzten oder vorletzten Jahrhundert verloren. Überliefert ist sie in einer Zeichnung von Viedenz. Über den Verwendungszweck des „Toraushebers“ gab es viele Spekulationen. Er muss den Gesekern nach der Belagerung immerhin als so bemerkenswert aufgefallen sein, dass sie beschlossen, ihn aufzubewahren. Die Tradition besagt, dass die Truppen des Braunschweigers mit Hilfe dieses Auflagers und eines Hebels versucht hätten, die Stadttore aus den Angeln zu heben. Das wurde z.B. auch im Katalog der Ausstellung „1648 – Krieg und Frieden in Europa“ (Bußmann, K. u.Schilling,H., Hrsg. (1998): 1648 – Krieg und Frieden in Europa, S.185) so übernommen: „ … Stützgabel eines Türhebers … ; mit diesem Gerät konnte ein eingelegter Hebebalken abgestützt werden, um ein Stadttor aus den Angeln zu heben.“ Das Stück war 1998/99 in der Ausstellung in Münster zu sehen. In der Geseker Stadtgeschichte fällt die Formulierung schon vorsichtiger aus. Sieht man sich die Konstruktion eines Stadttores an, wird man schnell bemerken, dass seine Erbauer die Möglichkeit, ein Tor aus den Angeln zu heben, durchaus im Blick hatten. Die schweren Tore lagerten unten in Findlingen und verfügten oben über ein entsprechendes Gegenlager. Die Tore lagen oben zudem üblicherweise an einem Sturz aus Stein oder Holz an, was ein Heraushebeln nahezu unmöglich machte. So kommen Zweifel, ob die gegnerischen Truppen sich wirklich mit zwei Balken, dem sehr langen Stütz- und einem wohl noch längeren Hebebalken, auf den gefährlichen Weg durch das Abwehrfeuer der Verteidiger gemacht haben sollten, um auszuprobieren, ob man mit diesem Hebewerkzeug eventuell doch etwas ausrichten könnte. Die Spitze der Stützgabel an der Unterseite würde zwar ein Verrutschen verhindern, beim Hebeln würde sie sich jedoch auch eindrücken. Die U-förmige Gabel mit den beiden halbrunden Enden erinnert an die Halterungen, in denen die Zapfen von Geschützrohren jener Zeit auflagen. Das führte zu Spekulationen, es könne sich um eine Art Geschützgabel handeln, ähnlich der einer Musketengabel. Musketengabeln waren tatsächlich im Dreißigjährigen Krieg noch in Gebrauch. Es handelt sich dabei um vollmetallene oder hölzerne Stäbe mit einer Gabel am oberen Ende, auf die die Musketen zum Schuss aufgelegt werden mussten, da sie konstruktionsbedingt für ein freihändiges Zielen und Abfeuern zu schwer waren. Dennoch muss man die Spekulation, unser „Torausheber“ könne einem ähnlichen Zweck gedient haben, als unhaltbar ansehen. Die massive Gabel von 27,5 cm Breite wäre von der Abmessung her geeignet, ein Rohr von vielleicht 16 cm Durchmesser aufzunehmen. Ein solches Geschütz würde mindestens 60 kg wiegen. Selbst die kleinsten Geschütze, sogenannte Serpentinells mit einem Kaliber von rund 3,5 cm, wogen bei einer Länge von beispielsweise 1,7 m schon 35 kg. Üblicherweise waren sie auf einer Lafette montiert, zumindest aber auf einem Dreibein. Somit waren sie schnell in Position zu bringen. Sie wurden ingesetzt gegen Stellungen, beispielsweise um gezielt Offiziere anzugreifen. Zum Beschuss von Mauern und Toren waren sie nicht geeignet. Stellt man sich praktisch vor, wie das in Position bringen und das Zielen abgelaufen wäre, wird schnell klar, dass dieses Gerät keine „Geschützgabel“ gewesen sein kann. Auch das Abfeuern eines Schusses von dieser labilen Auflage, selbst wenn sie fast einen Meter eingegraben würde, hätte für den Schützen in Anbetracht des Rückstoßes fatale Folgen gehabt. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Jüngste Recherchen haben ergeben, dass das "Torausheben“, das die braunschweigischen Truppen am Viehtor probierten, nicht mit Muskel sondern mit Sprengkraft erfolgen sollte. Überliefert ist, dass am Viehtor Petarden eingesetzt wurden, um das Tor aufzusprengen. Eine Petarde besteht im Kern aus einem mörserartigen, massiven Eimer. Der Petardeneimer mit Schießpulver, eventuell zusätzlich mit Eisenteilen gefüllt, wurde mit der Mündungsseite auf ein massives Brett montiert und an das aufzusprengende Tor gehängt. Auch dieses Unterfangen war nicht ungefährlich für die Angreifer, konnte aber relativ schnell von statten gehen. Damit der Eimer seine volle Sprengkraft auf das Tor lenken konnte, musste er bei der Explosion, die mittels Zündschnur ausgelöst wurde, möglichst dicht am Tor bleiben. Dafür wurde er fixiert - mit einer Petardengabel. Und um solch eine Petardengabel wird es sich bei unserem „Torausheber“ handeln. Der Begriff "Torausheber" kann also nur noch im übertragenen Sinne verwendet werden. Bei den Recherchen spielte die Veste Coburg, in Person von Herrn André Müller, eine maßgebliche Rolle. Dort werden auch einige Petarden aufbewahrt.

Material/Technik

Eisen & Holz / geschmiedet & gesägt & gehauen

Maße

H 200 cm; B 27,5 cm; T/L 11 cm

Literatur

  • Arndt, Johannes (Hrsg.) (1998): 1648: Krieg und Frieden in Europa. Ausstellungskatalog. Münster
Städt. Hellweg-Museum Geseke

Objekt aus: Städt. Hellweg-Museum Geseke

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