Die aus dem Tafelsilber des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg stammende Figur des Bacchusknaben mit Füllhorn zählt zu den Meisterwerken der Hamburger Goldschmiedekunst, die in der 2. Hälfte des 17.Jahrhunderts ihre Blütezeit erlebte. Kraftvoll getriebenes Knorpelwerk ziert den gewölbten Sockel, an welchen als Füße vier gegossene Spangen mit Tierkrallen auf Kugeln gesetzt sind. Eine glatte Kehlung leitet über zur gebuckelten Standfläche für die freistehende, bewegt gestaltete Skulptur des mit Weinlaub bekränzten Knaben und einen seitlich als Gegengewicht beigegebenen Weinrebenstamm. Es scheint, als habe der schreitende Knabe noch rasch mit der linken Hand einen Rebenzweig gepflückt. In der erhobenen Rechten hält er das aus gewundenen Trompetenröhren geformte Füllhorn empor, dessen Deckel wie eine naturalistische Fruchtschale gebildet ist. Nur Füllhorn und Sockel sind in heller lichter Farbe vergoldet. Mehr als Tafelaufsatz denn als Trinkgefäß will dieses Einzelstück betrachtet werden. Es war bestimmt zur Aufstellung auf dem Buffet oder der Tafel, den beiden Pendants im Bereich prunkvoller Silberdarbietung.
Für den ornamentalen Dekor, die vegetabilen und figürlichen Elemente gaben Zeichnungen oder Stiche und Vergleichsbeispiele der süddeutschen und niederländischen Goldschmiedekunst Vorlagen. Hamburgs Goldschmiede entwickelten daraus ihren eigenen Stil. Sie belieferten die Fürstenhöfe Nordeuropas und Russlands mit ihren zum Teil sehr großen und an Edelmetallgewicht schweren Goldschmiedearbeiten und weckten damit die Aufmerksamkeit potentieller Auftraggeber. Plastische Figuren spielen als schmückendes Beiwerk und Trägerfiguren an Hamburger Silbergerät eine wichtige Rolle. Der Putto von Francois Duquesnoy (1597-1643) bot ein häufig wiederkehrendes Vorbild, so auch für den Bacchusknaben des Tafelaufsatzes. Der ausführende Meister Hans Lambrecht III (um 1600/1605 - 1683) gehörte einer in drei Generationen in Hamburg lebenden Goldschmiedefamilie an, deren Werke in hohem Maße dazu beigetragen haben das Ansehen der Hamburger Goldschmiede zu prägen. Lambrechts Bacchusknabe überzeugt in der monumentalen Ausformung und lebensnahen Darstellung (vgl. z. B. den Tafelaufsatz Putto mit Füllhorn von Peter Ohr I, 1649-1655, im Moskauer Kreml, siehe Heitmann, 1986, Kat. Nr. 32). Er verdient als plastisches Kunstwerk von hoher Qualität Beachtung.
Der Erwerbungszusammenhang ist nicht eindeutig geklärt. Julius Lessing, der 1885 als erster den Silberschatz des Königlichen Schlosses zu Berlin wissenschaftlich untersuchte, hielt den Tafelaufsatz für eine Magdeburger Arbeit und rechnete ihn zu den Huldigungsgeschenken der Stadt Magdeburg an Kurfürst Friedrich Wilhelm. Magdeburgs Bürgermeister und Stadtrat war tatsächlich dem Ruf Hamburgs als Herstellungsort hochwertiger Goldschmiedearbeiten mit der Bestellung eines Huldigungsgeschenkes, des über einen Meter großen Tafelaufsatzes „Globusbecher“ mit Atlas- und Jupiter-Figur, bei Peter Ohr I 1667 gefolgt (seit 1945 verschollen). Die Datierung des Bacchusknaben lässt sich anhand der Marken von 1654 bis 1670 angeben, sie fällt somit in die Zeit der umfangreichen Geschenkgaben Magdeburgs und des allgemeinen Machtzuwachses des Kurfürsten.
Die besondere Wertschätzung des Tafelaufsatzes zeigt sich darin, dass er von den großen kriegsbedingten Einschmelzaktionen 1745, 1757 und 1809 verschont blieb. Während der napoleonischen Besetzung Preußens ausgelagert und magaziniert, wurde der Tafelaufsatz 1816 auf dem Schenktisch des Großen Silberbuffets im Rittersaal des Berliner Schlosses aufgestellt. In der Beilage zum Silberinventar 1811 ist er unter der Nr. 24 „Ein Bacchus, mit einem Gestell, welches mit den 4 Unterknöpfen vergoldet ist: wiegt 23 Mark 6 Loth“ aufgeführt (SPSG, Inventare, Berliner Schloss, Nr. 69). 1925 an das vormals regierende Königshaus abgegeben, konnte er 1979 für die preußischen Schlösser zurück erworben werden, wo er seit 1994 in der Silberkammer im Schloss Charlottenburg ausgestellt ist.
Claudia Meckel
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