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Stiftung Händel-Haus Halle Handschriftensammlung [AS-Franz B 123]
Brief von Robert Franz an Carl Ferdinand Becker (Stiftung Händel-Haus Halle CC BY-NC-SA)
Herkunft/Rechte: Stiftung Händel-Haus Halle (CC BY-NC-SA)
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Brief von Robert Franz an Carl Ferdinand Becker

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Beschreibung

[Transkription:]
Wohlgeborener Herr!
Hochzuverehrender Herr Becker!

Den Tag bezeichne ich stets als einen für mich glücklichen, an dem es mir gestattet war, meine Bekanntschaft auf einen Mann ausdehnen zu können, welcher die Achtung der Welt in jedweder Beziehung verdient; nicht nur daß ein solcher einen momentanen Einfluß auf mich äußert, er befähiget mich ja auch für die Zukunft aus ihm mittelbar für mich subectiven Vortheil ziehen zu können. Ob ich es nun meiner Persönlichkeit zu verdanken habe, daß Sie mir, verehrter Herr!, jüngst so freundlich entgegen kamen, oder ob dies freundliche Entgegenkommen eine Folge Ihrer allbekannten Indulgenz ist, weiß ich freilich nicht zu sagen; jedoch ich möchte mich auf rationellem Wege lediglich für das Letztere entscheiden, obschon mein Egoismus dagegen hart ankämpft. Dem sei aber, wie ihm wolle! Ich begebe mich zu Ihnen eines rücksichtslosen Vertrauens, veranlaßet durch Ihre eigne Schuld, u. aus diesem Grunde lebe ich der guten Hoffnung, daß Sie mir nicht zürnen werden, wenn ich mit Ihnen einen Briefwechsel eröffene. Immer ist der Vortheil, der hieraus entsprießen kann, augenfällig zu sehr auf meiner Seite, u. ich setze mich sicherlich der Gefahr aus, vor Ihren Blicken als selbstsüchtig dazustehen; jedoch ich deprecire wiederum an Ihre Nachsicht, indem ich in ihr jedenfals [sic] den besten Apologeten finde.
Sie waren so gütig mir das Anerbieten zu machen, meine geringe Composition Ihrer Durchsicht würdigen zu wollen. Erlauben Sie mir in Betreff dieses Gegenstandes einige Worte. Wie ich Ihnen schon sagte, befand sich zu der Zeit, als ich die Ehre hatte Ihre Bekanntschaft zu machen, meine Messe in den Händen des Dir. Fink. Aus einem Briefe, welchen dieser Herr an den Geheimrath v. Lehmann schrieb, habe ich entnommen, daß von ihm das Werklein bereits durchgesehen ist; er beziehet sich nähmlich [sic] in diesem Schreiben auf eine Beurtheilung welche er in Betreff meiner u. meiner Composition ausgestellt hat. Bis zu dieser Stunde ist mir jedoch nichts davon zu Gesicht gekommen. Es sind nun vier Fälle möglich, welche sämtlich hierzu als Hinderniß dienen können. Einmal kann der Dir. Fink die Recension mit der Post abgesendet haben, u. sie ist aus Versehen liegen geblieben; dann kann er sie wieder mit Buchhändlergelegenheit mir haben zukommen lassen wollen, u. sie liegt annoch in Leipzig fest; drittens ist es möglich, daß er sie noch nicht abgeschickt hat, u. endlich kann sie sich nebst der Composition durch Bastians’s Vermittlung bereits in Ihren Händen befinden. Letzteres scheint mir das Wahrscheinlichere zu sein. Angenommen: sie würde Ihnen überliefert, so werden Sie die Güte haben selbige für mich so lange zurückbehalten zu wollen, bis Ihre Geschäfte es Ihnen erlaubten, einige Minuten der Durchsicht meiner Arbeit gewidmet zu haben. Gesetztenfalls: Sie bekamen durch Bastians weder Recension noch Composition, so muß ich Ihnen mit einer anderweitigen Bitte beschwerlich fallen. Bastians geht häufig bei Ihnen aus u. ein; wollten Sie ihn nun wohl gefälligst in meinem Namen gebeten haben, den Dir. Fink um die Zurückgabe der Partitur anzugehen? Er möge dies aber nicht in holländischer Zunge thuen, sondern in fein[?] deutscher (unbestritten in welchem Renommée die deutsche stehet), weil das holländische Idiom nicht jedem Hörorgane gleich angenehm sein könnte. Er möge die Zurückerstattung des Heftes nur deßhalb erbitten, weil er mir mit Gelegenheit noch andere Sachen zu übersenden gedenke. Hat er so die Berurtheilung als die Partitur in Empfang genommen, so wird er die Güte haben, Ihnen beides zuzustellen, u. Sie werden Sich als dann keiner geringen Mühe zu unterziehen haben.
Mit Ihrer gütigen Erlaubniß werde ich nun noch Einiges in Betreff meiner Individualität, u. der aus dieser hervorgehenden Art u. Weise zu setzen, erwähnen. - In meiner Erziehung lag schon an u. für sich eine ernste, mehr gedrückte als freie[?] Richtung ausgeprägt. Diese Richtung mußte nothwendigerweise auch auf meine Productivität von bedeutendem Einflusse sein. Ich lernte die Musik in einer Lebensperiode kennen, wo die Kinderschuhe längst ausgetreten waren. (Ich war dazumal
16 Jahr alt!) Mir sagten sowohl in literärer[?] als auch in artistischer Beziehung mehr die strengen Erzeugnisse, u. mit ihnen zugleich die strengen Formen zu, mit einem Worte: ich lebte von jeher mehr in mich hinein, als aus mir heraus. Von diesem Gesichtspunkte aus, müssen Sie jedenfalls mein productives Talent betrachten. Gilt ein ... Vergleich, so müste ich in meiner Selbstvertheidigung behaupten: Platonische Liebe ... ich, jedoch stoischer legte den meisten freundlichen Gedanken eiserne Fesseln an. In wie weit nun beide Ingredienzen an meiner Composition eigenthümlichen Antheil haben, werden Sie bei der näheren Durchsicht leicht finden. Ich bemühete mich, dem strengen musicalischen Criticer frei in’s Auge schauen zu können, - vor dem Aesthetiker, wie er meist heut zu Tage ist, vor dem habe ich, ich kann’s nicht leugnen, gewaltige Furcht. Ich sage: "wie er meist heut zu Tage ist!", u. schwerlich mit Unrecht; denn faßt man das ins Auge was die meisten Recensionen neuerer Zeit ... an einem Musikstücke aufgreifen, so möchte man ausrufen: "odi profanum vulgus, et arceo!" Ein verschobenes Band eine geknickte Schleife, das sind die Gegenstände, welche man triumphierend dem staunenden Publikum vorhält; in die Tiefe hinein zu schauen, aus ihr rosige Düfte zu ziehen, das vermögen nur Wenige; - kleine Schaumbläschen halten ja die Sehkraft des, zwar Argus-Aeugigen, doch in diesem Punkte, Blinden, befangen!! Doch was ist da zu machen? Man muß sich bemühen die Steine des Anstoßes oder vielmehr verschobene Bänder u. geknickte Schleifen, aus dem Wege zu räumen. Freilich hier ein undankbares Geschäft, das noch dazu dem Ganzen nur armseligen Nutzen stiften möchte! - Doch ich komme zu weit ab von meinem eigentlichen Zwecke. Entschuldigen Sie mein Polemisiren! - Schließlich wollte ich Sie nun noch ersuchen, mir rücksichtslos meine errata zu Gemüthe zu führen, auch "Bänder u. Schleifen" nicht ausgenommen; denn ein Mann von Ihrem Criterium kann Alles sagen, u. es wird von meiner Seite gewiß mit dem größtem Danke angenommen werden. So bald Sie daher in den Stand gesetzt sind, einen Blick auf mein opusculum geworfen zu haben, so wollte ich Sie dringend gebeten haben, durch Bastians mir das vielbesprochene Heftlein, natürlich auf meine Kosten, übersenden zu lassen.

Indem ich mich Ihrem ferneren Wohlwollen bestens empfehle
verharre ich
in tiefster Hochachtung
als Ihr ergebenster
Robert Franz.

Halle. d. 9/8 37.
Adr: An R. F.
abzugeben bei dem Spediteur C. Franz
in
Halle a/S.

Material/Technik

Tinte auf Papier

Maße

1 Bl. (3 S. beschrieben)

Teil von

Stiftung Händel-Haus Halle

Objekt aus: Stiftung Händel-Haus Halle

1937 erwarb die Stadt Halle das in der Großen Nikolaistraße gelegene Geburtshaus des berühmten Komponisten Georg Friedrich Händel und eröffnete hier...

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